Freitag, 18. Mai 2007

WOHIN DEIN HERZ DICH FÜHRT


Montag morgen, verregnet und grau, die Nacht noch im Nacken, die Sonne eine blasse Erinnerung. Der Koffer: Zusammen gepackt nur das Nötigste und das Ziel ungewiss. Aber sie steht dort, allein an dieser Bushaltestelle, direkt am Waldrand. Die Tropfen sind dick, ihre Augen sehen nichts von alledem, sie ist in einer anderen Welt, doch auch dort gibt es keinen Sonneschein. Ich sehe all dies, als ich mit meinem Wagen langsam heran fahre. Wir hatten uns verabredet. Gestern. Heute jedoch, war dieses flaue Gefühl im Magen, das kein Lächeln zuließ. Ich hielt direkt vor ihr, öffnete die Beifahrertür und starrte zur Frontscheibe heraus, wo die Scheibenwischer auf und ab zuckten. Ich wünschte es wäre so einfach, ein Wisch und alles wäre ungeschehn. Aber das Leben bestand nicht nur aus Regentropfen, die an Scheiben hingen und mit einem Wisch vergessen waren.

Der Motor gluckste, die Uhr tickte und das Klopfen des Regens war eine stille Melodie der Trauer. Doch sie stieg nicht ein. Sie stand einfach dort, im Schutz der Haltestelle und dennoch ertrank ihr Herz im Regen. Ich konnte es sehen, sie wollte nicht gehen.

Missmutig ließ ich den Sicherheitsgürtel aus der Haltung springen, riss die Tür auf und stieg aus. Die kalten, feuchten Arme des Regens umfingen mich. Mein Haar hing mir ins Gesicht, der Wind zerrte daran.

"Komm, Sally!", rief ich zu ihr und blickte über das Dach des Mustangs weg, wo die Regentropfen zerplatzten wie Seifenblasen.

Doch sie blieb stockstil. Ihre Augen verloren. Sie sahen mich einfach nicht. Ich stöhnte und kam herum, zu ihr, stand neben ihr und blickte in die gleiche Richtung wie sie, aber da war nur das graue Regenbild, mit den heimatlichen Tönen, die mich weder traurig machten, noch Geborgenheit ausstrahlten. Es war einfach vorbei, meine Zeit hier ging zu Ende. Eigentlich unsere Zeit. Die Arbeit war getan, wir mussten weiter.

Der Motor gluckste noch immer und ich roch die Abgase.

"Verdammt! Los, wir müssen weg hier", erklärte ich und griff nach dem Koffer. Die wenigen Habseligkeiten die Sally besaß waren darin verstaut und es war noch so viel Platz. Sicherlich besaß sie mehr Sorgen, als Klamotten, das war klar. Das Leben gibt dir so viele Sorgen und wie oft wundert man sich nur, was soll ich heute anziehen?

Sie steckte mich an, mit ihrer verlorenen Seele. Ich schüttelte den Kopf, ließ den Kofferraum aufspringen, warf den Koffer rein und versuchte mit dem gewaltvollen zu Schmeissen der Klappe diese wirren Gedanken zu verscheuchen.

Doch sie stand noch immer einfach nur so da.

Warum war es jedes Mal so ein Schauspiel? Wie konnte sie sich mit diesen Menschen so verbunden fühlen? Ich verstand sie nicht und konnte nur versuchen sie dazu zu bringen, hier endlich zu verschwinden. Was mochte sie an Menschen finden, die uns jagten? Und das schon so viele Jahre. Eine Zeit, die gezeichnet war von Schmerz und Trauer durch deren Hände!

Doch Sally stand dort, eine blasse Gestalt im Regen, heimatlos und starr.

"Wenn sie uns finden, ist es zu spät!", rief ich zu ihr.

Und dann sagte sie etwas, es waren Worte, die ich nicht verstand, obwohl ich sie hörte. Zwischen dem Flüstern des Regens: "Ich hab mich verliebt..."

Ich schüttelte den Kopf.

"Was?"

Sie sagte wieder nichts. Aber die Tränen in ihren Augen waren Antwort genug. Es durfte nicht passieren, soetwas durfte nicht geschehen! Sie wusste es, aber mir war klar, ein Herz hält sich nicht an irdische Regeln.

"Ist es der Blonde aus Carson's Schuppen?", fragte ich genervt. Ich spürte den Regen nun schon nicht mehr.

Sie nickte.

"Sally, du bringst was durcheinander. Liebe entsteht nicht innerhalb zweier Nächte..."

Sie schüttelte den Kopf. Ich gab nicht auf: "Du liebst nur sein Blut"

Ich wusste, ich schlug neue Wunden in ihr zartes Fleisch, aber es war nicht Recht. Vampire und Menschen, soetwas passte nicht zusammen!

"Lass mich hier...", wisperte sie.

"NEIN!" Ich kamm zu ihr, nahm ihre Hand, die fast leblos an ihr herabhing und zog sie aus dem Schatten der Haltestelle zur Beifahrertür, als ich die Motoren hörte.

"Verdammt!", zsichte ich. Die Lichtkegel der Fahrzeuge zerschnitten die graue Masse aus Regen und Kälte.

Ich riss die Tür auf, doch sie blieb stock still. In ihren Augen die Tränen, vermischt mit dem kalten Regen. Ihre Haut so blass, so blutleer und dennoch so fantastisch und makellos. Wäre sie nicht meine Schwester, wäre sie meine Frau...

Plötzlich wurden wir in blasses Licht gehüllt. Die Motoren der Pickups und Jeeps, und ein paar aufgemotzte Schlitten der Dorfjugend, übertönten das traurige Flüstern des Regens.

"Geh...", flüsterte sie. Ich sah ihr in die Augen, das Leuchten war ein Flackern, Tränen die wie Edelsteine glitzerten.

Das Brüllen der Leute war unverkennbar ein Gemisch aus Wut und Rachsucht. Dabei hatten wir nichts getan. Wir waren keine Mörder! Sie sahen in uns nur Blutsauger. Dabei suchten auch wir nach Erleuchtung, glaubten an Dinge wie Sie, beteten ... Doch das Grauen, dass die kleine Stadt heimsuchte, würde nicht mit unserem Tode weichen. Aber was wussten die schon davon...

Ich küsste Sally auf die Wange, als die erste Kugel das Rücklicht meines Mustangs zerschmetterte.

"Nein Sally!", flehte ich, als sie begann im Lichtkegel der Fahrzeuge auf die Menschen zu zugehen. Das Licht verwandelte sie in Alice, Alice im Wunderland.

Schließlich verstummten die Leute, als sie sahen, wie wehrlos wir waren... und wie schön Sally war. Vielelicht verstanden sie, dass wir zu ihnen gehörten, dass wir Gejagte waren, wie sie. Nur wir hattem dem Biss nicht entgehen können.

Dann hörte ich die Stimme, die Sallys Herz gestohlen hatte. Und ich wusste, sie würde glücklich sein. Vielleicht nur für ein paar Nächte, aber es war, was sie sich wünschte, was zählte. Ich konnte die Tränen nicht wegblinzeln, als ich in den Mustang stieg, den Gang herein schmetterte und mit qualmenden Reifen einfach davon zischte. Im Rückspiegel ihre zierliche Gestalt, die langsam verblasste im Regen.

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