Sonntag, 20. Mai 2007

RED DEVIL



Schneeflocken tanzten sanft durch die Nacht, als die Scheinwerfer über den Asphalt huschten und das Brummen des Motors durch die Dunkelheit entlang der Landstraße hallte. Im Inneren des Wagens schimmerte der matte grüne Glanz der Armaturen und die Musik plärrte laut. Es waren Songs der 50er und 60er, Diamanten aus einer Zeit, in der Wagen wie dieser die Blicke aller auf sich zogen. Der feuerrote Ford Mustang war ein Vehikel, das jedem einen Blick abverlangte und Bernard Vandermeer träumte vor sich hin, während der Meilenzähler sich langsam drehte.

Hin und wieder sang er mit, und mit jeder Meile, die er durch die Nacht huschte, verstrickte er sich mehr in seinen Träumen. So ging es jedes Mal und diese Nacht würde nicht anders sein als viele zuvor, da der rote Mustang, Bernards Red Devil, auf der Jagd gewesen war.
Bernard Vandermeer hatte sich schon längst in dem Traum seines Mustangs verloren, jagte quer durch die Staaten, nach etwas, das es nicht geben konnte. Sein Leben hatte sich gewandelt. Von einem Tag auf den anderen war er in den Wagen gesprungen und geflohen.

Nicht mehr als ein halbes Jahr war es her, daß er an jenem Sommertag so viele Enttäuschungen hatte erleben müssen. Es war ein schöner lauer Sommermorgen gewesen, da er den Brief seiner Frau neben sich im Bett gefunden hatte. Die Zeilen voll messerscharfer Worte, die ihn verklagten, verhöhnten und einen nichtsnutzigen Ehemann schimpften, hatten Migräne und Bauchschmerzen heraufbeschworen. Seine Ehe, wie überhaupt sein ganzes Leben, war schon davor eine Farce gewesen, doch jener Sommermorgen war die Spitze des Berges, den er tollwütig erklomm, um sich dann hinabzustürzen, in ein Leben fern aller Vorstellungen.
Mandy, seine Ehefrau, ein nettes Ding, das drei Straßen weiter sich mit ihrem Lover vergnügte, wie Bernard durchaus bekannt war, hatte ihn verlassen. Die Beschuldigungen waren nur Lügen! Denn wie sonst kam es, daß er ein Haus besaß und regelmäßig Geld nach Hause brachte, das sie für teure Sachen ausgab? Oh, sicher, er war nicht jemand, der sich auf Sparen verstand und seine feuerrote Liebe, der Ford Mustang, kostete sicherlich auch eine Portion Bares. Aber dieser Wagen verließ ihn auch nicht oder schrieb bescheuerte Briefe!

So oder so ähnlich waren seine Gedankengänge gewesen, als er dort im Bett gelegen hatte, mit dem vermaledeiten Brief in der Hand. Wut war über ihn gerollt, wie der Mustang über den Asphalt, und er hatte plötzlich laut gelacht.

»Du blöde Schlampe... « Lachen und Wut gingen einher und dann hatte ihn wieder einer dieser Aussetzer ereilt.

Diese Erinnerungen jagten ihn jede Nacht und auch so in dieser schneeweißen Winternacht, da er sich irgendwo auf einem verlassenen Highway in Idaho befand. Er erinnerte sich jedes Mal von neuem an diesen Tag und nur der Geruch der Lederpolster von Sitz und Innenverkleidung, konnten ihn davor bewahren, mit halsbrecherischer Geschwindigkeit einfach gegen einen Baum zu donnern.

Jener Sommermorgen brachte noch mehr Überraschungen als einen Brief von einer Ehefrau, die er nicht mehr verstand. Er war dann, nachdem er aus dem Nichts des Aussetzers wieder in einen Zustand der Trauer verfiel, aus dem Bett gestiegen. Der Wecker auf seinem Nachttisch, ein Modell eines Ford Mustangs (Teil einer Sammlung) ließ ihn die Augenbrauen hochziehen: Wieder einmal war es kurz nach neun und er mehr als dreißig Minuten zu spät.

»Scheiß drauf... Dann kauft heute eben jemand seinen Wagen woanders.«

Das Geschäft, sein Stolz und Hobby, war jedoch nicht nur in seiner Hand. Sein Partner, Vernon Palmer, war ein Fuchs und er machte ihm die Hölle heiß. Schon seit Wochen, denn die Firma selbst befand sich am finanziellen Abgrund. Schuld, natürlich, wie immer, war er, denn angeblich gab er zu viel aus; für Ersatzteile und Tuning, das überhaupt nicht gebraucht wurde.

Er stand dort in seinem Schlafzimmer, den Pyjama zerknittert, unrasiert und die Haare hingen ihm in die Augen, als er die Kinder hörte. Das Gellen ihrer Stimmen war hell, voller Freude und paßte in einen Sommermorgen wie ein Lächeln. Doch bei Bernard vollbrachten die Kinderstimmen nur Magenkrämpfe. Sofort sprang er an das Fenster, riß die Jalousie zur Seite, das Fenster auf und schrie: »Wenn ich einen von euch Pissern an meinem Wagen erwische, werdet ihr euch wünschen, eure Mutter hätte euch nie geboren!«

Wie oft schon hatten sie ihre Spielzeugtraktoren in die Einfahrt gestellt? Wie viele Male waren die blöden Kinderpfoten auf dem roten Lack zu finden gewesen, kurz nachdem er seinen Red Devil glänzend poliert hatte?

Bernard drehte das Radio lauter, als Jerry Lee Lewis Great Balls of Fire schmetterte und die Wut in seinem Bauch wandelte sich in ein Gefühl von Kraft und Schnelligkeit, als er das Gaspedal durchdrückte. Der blutrote Mustang beschleunigte, die Reifen griffen sicher auf der verschneiten Straße.

Das war etwas Besonderes. Sein Red Devil ließ sich nicht stoppen, niemals! Der Wagen war ein Schatz, eine Bestie, die nur er zu dressieren wußte.

Der Sommermorgen spukte weiter in seinem Kopf herum, während die Musik ihn durch die Nacht begleitete. Nachdem er die Kinder in Schrecken versetzt hatte, war er in die Küche gewandert, nur um dort zu sehen, daß Mandy noch eine Überraschung für ihn vorbereitet hatte. Auf dem Fußboden hatte sie mit Kirschmarmelade, klebrig und rot, in fetten, haßerfüllten Buchstaben eine Botschaft für ihn hinterlassen: »Zur Hölle mit dir und deinem Scheisskarn!«

Erst als er die paar Schritte zum Kühlschrank gemacht hatte und die rote Frühstückskonfitüre an seinen Füßen klebte, hatte er es gesehen. Wie war er aus der Haut gefahren! Er hatte geschrieen, getobt und dennoch hatte er der Botschaft nicht entfliehen können.

Unter der Dusche war es wieder soweit gewesen, daß Wut und der aufbegehrende Magen ihn in einen seiner Aussetzer schickten. Während das Wasser ihn vollspritzte, den Körper mit wohligen, heißen Schauern beschenkte, spielte sich in seinem Kopf wieder dieses dunkle Etwas ab, daß er nicht begreifen konnte, jedoch schon seit Kindesbeinen kannte. Es hatte etwas mit Rot und Autos zu tun und es war ein Platz, wo er jemand war, den alle fürchteten. Die Zeit, die er dort verbrachte, war eine Zeit der Regeneration, in der sich seine Batterien aufluden, die von Angst, Wut und Trauer jedes Mal bis auf den letzten Funken leergefahren waren.

Jedoch jetzt, da er durch die graue Winternacht in seinem Red Devil dahinglitt, entlang den grauen Adern des Asphalts, der sich Meile für Meile durch Amerika zog, waren diese Aussetzer anders. Jedes Mal, wenn es geschah, war es ein Gefühl des Glücks, nicht der Leere, und es machte süchtig. Oh ja, ganz gewiß! Wenn die Räder über den Asphalt surrten, der Motor voll Kraft und Ungezügeltheit knarrte, geschah etwas mit ihm.

Dennoch, in dieser Nacht suchten ihn die Erinnerungen heim wie dunkle Geister. An jenem Sommermorgen war sein Leben in tausend Scherben zerbrochen, mit jedem Schritt, den er machte. Als er sich halbwegs wieder unter Kontrolle gehabt hatte und aus der Dusche gestiegen war, hatte er nicht gewußt, daß sein Leben an diesem Tag eine Wendung nehmen würde. Vom Gejagten zum Jäger, vom Eingeschüchterten zum Herrscher. Die Klamotten hatte er sich einfach so übergeworfen und seine Augen schienen die leergefegten Schränke, wo einstmals die Kleider seiner Frau und ihre Habseligkeiten gewesen waren, nicht zu sehen.

Der Postmann kam in dem kleinen Ort in Kalifornien immer pünktlich und als Bernard aus dem Haus stürzte, besorgt um seinen Red Devil, der womöglich nicht mehr dort in der Einfahrt wartete oder einem Attentat seiner Frau zum Opfer gefallen sein mochte, war er fast über den Berg aus Briefen gestolpert. So, als hätte er Fußball spielen wollen, hatte er die Post weggeschossen. Die Briefe, mehr als ein Dutzend, verteilten sich auf dem Rasen.

»Verdammt!« Als er sie nach und nach einsammelte und entdeckte, daß sie allesamt an ihn adressiert waren, braute sich wieder ein neuer Sturm aus Wut und Angst in ihm zusammen. Da war ein Brief von der Bank, zwecks der Hypothek des Hauses, dann Strom, Rechnungen – kurz: Ein finanzielles Pulverfaß, das er in seinen Händen hielt, bereit alles, was er geschaffen hatte, in einer verheerenden Explosion hochzujagen.

Er zerriß die Briefe instinktiv. Jedes Mal, wenn das Papier zerschnipselt vor seinen Füßen lag, fühlte er sich etwas besser. Mochten sie ihm das Haus nehmen! Er brauchte es nicht! Mandy war ein Haus so wichtig gewesen, ihm dafür die Garage. Doch seinen Red Devil störte ein wenig Regen nicht und Kaliforniens Winter verhießen wohl kaum Schnee! So war dies keine Sorge, die ihn plagen konnte.

Jedoch, als er den letzten Brief in der Hand hielt: Ein Pfändungsbescheid.

»Diese blöde Schnalle... alles hat sie geplant«, schrie er in den Morgen hinein.

Dort, in der Einfahrt, wartete sein Red Devil und niemand würde ihn kriegen! Kein Beamter einer Pfändungsbehörde! Niemand! So war er in den Wagen gesprungen, hatte Briefe und Haus verlassen.

Da jedoch jeder Mensch durch den Alltag in eine halbe Maschine verwandelt wird, fuhr Bernard, ohne sich dessen bewußt zu sein, quer durch das kleine Kaff nach Süden hinaus, wo 'Palmer & Vandermeers – Motorservice', den Kunden Tor und Tür öffnete, auf daß ein paar der alten Klunker eine neue Garage fanden.

Das kleine Nest erwachte früh an jenem Sommermorgen und so hatten alle mit angesehen, wie der seltsame Kerl in dem feuerroten Ford auf den Parkplatz gerauscht kam. Bernard war, während der Red Devil mit exakter Stadtgeschwindigkeit über die Straßen rollte, wieder dort gewesen, wo Dunkelheit ihn erfrischte und nach dem erneuten Aussetzer fühlte er sich entschlossen genug, in das kleine Büro hineinzustapfen, dort Palmer zu packen und gegen die Wand zu schmeißen.

Wie hatte Palmer geheult und geschrieen, als die Faustschläge ihn im Gesicht trafen!

»Du dreckige Sau! Du betrügst mich wie meine Schlampe... «

Wieder hatte er zugeschlagen, auch als Palmer zeterte, daß er doch gar nicht wüßte, wovon er spreche. Doch Bernard fiel nicht auf dieses Unschuldsspiel rein, nicht dieses Mal! Er hatte ihm erklärt, daß es nichts bringen würde, wenn er ihn an die Behörden verpfiff.

»Ich habe dich nicht verpfiffen! Wie kommst... «

Dann war es geschehen. Lügen, Lügen und nochmals Lügen. Jeden Tag hatten sie ihn betrogen, hatte er, der dumme Bernard, alles geschluckt! Aber nicht an diesem Sommertag! Er hatte ausgeholt und irgendwie war es dann passiert.

»Er war selbst dran Schuld!«, brüllte Bernard in seinem Mustang, als er auf dem Interstate Highway kurz hinter Boise die nächste Ausfahrt nahm.

Palmers Augen waren erstarrt, als Vandermeer ihn so fest geschlagen hatte, daß dieser zur Seite und in die große Glasvitrine stürzte. Selbst im Tod hatte er ihm noch zugesetzt, denn draußen hatten die wenigen Kunden an dem großen Fenster gestanden, durch das die Sommersonne ins Büro schien. Dann war es zu spät gewesen. Mit wehenden Haaren war er davongerannt, vorbei an der Sekretärin.

Die blöde Schnepfe rief ihm nach, er solle stehenbleiben.

Sein Red Devil hatte dort im Sommerlicht auf ihn gewartet, wie ein Fels in der Brandung. Als das Geschrei nach Polizei und Arzt quer über den Parkplatz heulte, wo die Sonne sich in den vielen Windschutzscheiben der Autos spiegelte, war er in den feuerroten Mustang gestiegen. In dem Augenblick, da er die Tür zuschlug und der Lederduft ihn umgab, hatte er die Kraft gespürt, die ihn nun seit etwa einem Jahr ruhelos quer durch die Staaten, auf der Flucht vor Polizei und FBI, ziehen ließ. Irgendwie hatte sein feuerroter Mustang ihm mit einem Schutzzauber belegt, wie sonst war es zu erklären, daß niemand ihn fand, keiner ihn stoppte?

Von Zeit zu Zeit hatte er auf den Rasthöfen in einem der Diners im Fernsehen seine Story in den Nachrichten verfolgt und gesehen, inwieweit die Ermittlungen in mehr als zwanzig Mordfällen quer durch die Staaten vorangingen. Manchmal hatte er sein Gesicht auf den Steckbriefen erkannt, doch auch er veränderte sich mit jeder Meile, wie sein Mustang. Nach jedem Opfer, das sie zur Strecke brachten, hatte der Mustang sich gewandelt, das wurde Vandermeer klar.

Erst die Nacht zuvor, als er wegen einer neuen Tankfüllung an einem Truckstop gehalten hatte und dort im Schein der Neondampflampen stand, während der teure Sprit hineingurgelte, war es ihm aufgefallen. Jenes Rot schien jedes Mal seine Schattierungen zu variieren. Genauso merkwürdig war, daß die Reifen auch in dieser verschneiten Nacht keinen Millimeter rutschten und er mit mehr als 60 Meilen die Stunde über die schneeweiße Landstraße donnerte.

An die Opfer, von denen in den Nachrichten traurige Geschichten berichtet wurden, konnte er sich nur neblig erinnern. Es war ein wenig, als hätte er sie auf seiner Reise schon mal irgendwo gesehen, aber mehr kam ihm nicht in den Sinn. Wenn er in den Berichten ihre Namen und Fotos sah, blickte er auf, von seinem Essen, meist Burger oder anderes Fastfood, weil er glaubte, den Namen schon mal gehört zu haben. Aber das war auch schon alles.

In jener Nacht jedoch, da er alleine durch das Schneetreiben jagte in seinem Ford und die Musik ihn träumen ließ, war das alles vergessen. Sein Gesicht im Rückspiegel ließ ihn nicht zusammenschrecken und Fragen peinigten ihn dieses Mal auch nicht. Auch wenn es genug gab. Beispielsweise das Geld, das jedes Mal von neuem in dem kleinen Handschuhfach in der roten Geldbörse sich finden ließ. Oder, daß ein Radio keine Nachrichten brachte, nur immer seine alten Kassetten spielte.

Welche Kassetten? Er hatte doch nie Kassetten gemocht. Die einzige Musik, der er in der Werkstatt lauschte, während er schraubte und werkelte, war von dem alten Plattenspieler gekommen!

Trotzdem, die schwerwiegendste Frage mochte er sich nicht stellen. Wie lange hatte er diesen Wagen schon? Wann war er damit nach Hause gekommen? Wenn Erinnerungen ihn jagten, so waren es die, die von der Gemeinheit der anderen ihm gegenüber hervorgerufen wurden. Der Red Devil war nur eine feste Konstante in seinem Leben, etwas das irgendwie schon immer dagewesen war.

Jedoch, als aus der weißen, verschneiten Winternacht ein Wintermorgen wurde und die ersten Sonnenstrahlen sich über das Land streckten, stotterte der feuerrote Mustang zum ersten Mal. Es geschah ganz nebenbei, daß die Bremsen versagten und Bernard plötzlich mit 75 Meilen über den Asphalt rollte. Der Motor plötzlich wieder ein wütendes Grollen und Bernard glaubte zu wissen, was vor sich ging.

»Wir finden jemanden!«

Jedes Mal, da der Wagen begann zu bocken, spürte er plötzlich den Schmerz der Fragen, die durch seinen Kopf schossen und ihn jagten. Hatte dieses Feuerrot nicht von Beginn an ihn in seinem Bann gehalten? War nicht das Rot ein Meer aus Blut, das den Lack dieses Monsters bildete? Und vor allem, woher hatte er die Karre?

Bernard keuchte, als der Mustang ein weiteres Mal ruckte und dann wieder Gas gab. Das war auch so etwas... Wie konnte der Wagen beschleunigen, wenn er bremste? Es geschah abermals, als der rote Feuerball der Januarsonne den grauen Asphalt in ein dunkles Rotbraun tauchte und Bernard konnte sich nicht der Macht des Mustangs entziehen.

Die Reifen rauschten durch den meterdicken Schnee wie eine Walze, schnell und tödlich. So war es immer. Die Macht ließ den Motor röhren, während der Meilenzähler immer schneller surrte und dann konnte Vandermeer wieder fühlen, wie er in der schwarzen Zone versank, die andere ihm als Aussetzer so oft beschrieben hatten.

Es war nicht schwarz, nein, eher ein dreckiges Braun, das vor seinen Augenlidern dahinrauschte, während der Mustang, unaufhaltsam schnurgerade die Landstraße entlang hetzte. Das Summen des Motors schwoll zu einer Melodie voller Wut und Angst heran. Der Geruch des Leders lockte und spielte mit ihm, bis er dort im Wagen plötzlich die Augen verdrehte, sich schüttelte und dann eins wurde mit der Bestie, die schon viel mehr als zwanzig Leben auf dem Gewissen hatte und seit Jahren durch die Welt geisterte. Vor ihm hatten schon andere an diesem Lenkrad gelitten, deren Energie sich in tödliches Benzin verwandelte, wenn sie mit voller Geschwindigkeit über die Straßen rauschten.

Der Red Devil war ein metallener Blutsauger, der sich seine Opfer suchte. Vor Vandermeer hatte jemand anders die Straßen unsicher gemacht und es war nicht wichtig, wer den Schlüssel ins Zündschloß schob. Es war wichtig, was er für ihn fühlte.

Vandermeer jedoch verstand nun, als der Mustang über eine Anhöhe setzte und stetig weiter beschleunigte, daß er dem Wagen verfallen war. Denn, als die Räder einen Augenblick in der Luft schwirrten und das rote Monster sich im Sprung befand, er in den Rückspiegel blickte, da sah er auf dem Rücksitz die vielen Zeitungsberichte, die er monatelang gesammelt hatte.

Die Stoßdämpfer gaben ein quietschendes Geräusch von sich. Dann, als Metall über den Asphalt schabte wie ein Schrei, erwachte Bernard zum ersten Mal aus dem dämonischen Bann. Denn als die Zeitungsberichte vorbei flogen, erkannte er das Gesicht seiner Frau Mandy. Die Schlagzeile lautete:

Frau erliegt ihren Verletzungen nach Autounfall mit Fahrerflucht.

»Nein!«, schrie er.

Doch der Mustang donnerte weiter, unaufhaltsam. Der Zeitungsausschnitt lag auf dem Beifahrersitz und Vandermeer las voll Schrecken. Er spuckte die Worte laut heraus, und das Grauen kratzte an seinem Verstand.

Mandy Vandermeer, die Frau des Inhabers von 'Palmers & Vandermeers Motorservice', ist in der Nacht zum Dienstag, dem 7.Juli auf ihrem Nachhauseweg von der Bar 'Blue Notes' Opfer eines Unfalls mit Todesfolge geworden. Augenzeugen berichteten, daß ein weinroter Ford Mustang älteren Baujahres...

Die Tränen rannen heiß über Bernards Wangen und seine Stimme war voll Entsetzen, doch er las weiter.

...sie vom Fußgängerweg geschleudert habe, als sie an einer Ampel wartete. Der Fahrer des Fahrzeuges beging Fahrerflucht – Ermittlungen wurden eingeleitet.

»Das ist niemals so gewesen!«, schrie er wieder.

An den Scheiben zogen Fichten und Tannen vorbei, als der Mustang eine Doppelkurve nahm, die durch ein Waldstück führte. Die Reifen schmirgelten über den schneeverwehten Asphalt und Bernard wurde kotzübel. An jenem Dienstagmorgen, da hatte der Red Devil in der Einfahrt gestanden. Jedoch, er glaubte zu wissen, daß er den Wagen in der Garage des Motorservices am Montagabend noch auf die Hebebühne gefahren hatte. Denn er hatte den Auspuff gegen ein Sportmodell auswechseln wollen...

Augenblicklich erschien vor seinen Augen jene Szene an der Tankstelle, als er im Schein der Neondampflampe den Lack verwundert betrachtet hatte. War er da nicht weinrot gewesen?
Es konnte nicht sein!

Mit einem Mal fiel Bernard aus diesem inneren schwarzen Loch des Grauens, das er immer als Beruhigung empfunden hatte. Diese Aussetzer, waren sie nicht doch ein Beweis dafür, daß er sich nicht erinnerte, wo er überall mit seinem Mustang gewesen war?

Niemals, der Red Devil war auf seiner Seite!

Plötzlich wollte Vandermeer einfach nur dieses Gefährt stoppen! Die Bremsen versagten.
Das Radio spielte verrückt. Stimmen brüllten ihn an: »Versager! Nichtsnutz!«

Doch Vandermeer hatte den Bann gebrochen. Die Tränen rannen über seine Wangen, als er den Kopf gegen das Lenkrad schmetterte und heulte.

»Du hast mir alles genommen!«, schrie er. Der Mustang beantwortete dies nur mit einem Quietschen der Bremsen.

Der Wagen schleuderte, spritzte Schnee in alle Himmelsrichtungen und kam schließlich, quer auf der breiten Landstraße, die rechts und links von Nadelwald flankiert wurde, zum Stehen.
Sofort versuchte Bernard die Tür aufzustoßen, doch nichts half.

Er blickte wild um sich. Er trommelte auf das Leder seines Sitzes, schrie, heulte und immer wieder sah er das Gesicht seiner Frau, voll Liebe und nicht erfüllt von Haß oder Hohn. Er war diesem Dämon verfallen und nun zahlte er seinen Blutzoll...

Bernard rupfte den Sicherheitsgürtel aus der Halterung, so sehr sprang er auf dem Sitz auf und ab. Die Trauer zerriß ihn Stück um Stück, während der Motor des Red Devils nur gluckste, abwartend und wohlgefällig.

Für jeden der Fahrer kam die Zeit des Abschieds und Vandermeers brach gerade an. Jedoch bedeutete Abschied auch den Tod. Ein weiteres Opfer, dessen Blut die Reifen zieren würde. Der Wagen surrte und schnurrte im Leerlauf. Die Scheiben beschlugen.

Die Scheibenwischer rutschten plötzlich wild auf und ab. Das Licht der Scheinwerfer blitzte im Stakkato in den Morgen, als der Lichtschalter unaufhörlich zwischen Standlicht und Fernlicht hin und her klickte. Bernard spuckte und heulte immer wieder den Namen seiner Frau. Hatte er doch alles verloren, und war nun aus dem Schlaf des Ahnungslosen erwacht.

Schließlich zersplitterte die Fensterscheibe der Fahrertür unter den trommelnden Fäusten Vandermeers. Er hievte sich heraus und spürte nicht, wie sich die verbleibenden Splitter im Rahmen der Autortür ins Fleisch gruben und Blut hervorbrachten.

Er klatschte in den Schnee wie ein Sack Mehl. Ein paar Sekunden sah er unter das Chassis der Teufelsmaschine und dann schrie er. Dort klebten die Überreste von Fleisch an den heißen Rohren des Auspuffs. Bernard rappelte sich auf, nach Atem ringend, im Bann des totalen Entsetzens. Der Wald und die vom Schnee verkrustete Straße waren stille Beobachter, als er in den frühen Wintermorgen seine Qual hinausheulte. Er stolperte ein paar Schritte zurück, bis er den Halt verlor und in den Graben stürzte. Dort im Schnee, der eisig in sein Gesicht biß, konnte er hören wie der Motor plötzlich erstarb. Dann war nur noch das leise Ticken des Motors zu hören, als er abkühlte.

Der Red Devil schien auf ihn zu warten, mit ihm zu spielen.

Bernard kroch aus dem Graben und betrachtete voller Haß dieses metallene Monster, wie es quer auf der Straße stand. Als er einen Schritt an den Ford heran machen wollte, erklang ein anderes Geräusch.

Er blickte in die Richtung, aus der er das stetig anschwellende Donnern zu hören glaubte. Er verstand erst nicht, was es war. Doch dann brachen die Scheinwerfer hinter der Kurve hervor und überfluteten ihn.

Der Motor des Mustangs heulte plötzlich auf.

Er hörte, wie die Schaltung knackte, als das Ding versuchte, so schnell wie möglich in einen höheren Gang zu schalten. Die Reifen spuckten Schnee nach vorn, doch sie gruben sich nur tiefer in ihn hinein.

Bernard lächelte breit. Er begriff schlagartig, was geschah.

In dem Augenblick, da der Lastzug nur noch wenige Schritte von ihm und dem Mustang entfernt war und das Heulen der Hörner in den angebrochenen Morgen gellte, sprang Vandermeer in den Graben. Wieder biß der Schnee in sein Gesicht und er schnaubte und lachte wild, als der Truck gegen den Mustang donnerte und das Ding mehrere Meter die Straße entlang schob, bis es schließlich, zur Seite wegkippte in einen Graben.

Stille herrschte Augenblicke lang, als es vorüber war.

Bernard rappelte sich abermals auf und kroch hinauf auf die Straße. Als er in die Richtung blickte, wo der Truck irgendwie zum Stehen gekommen war, explodierte der Tank des Mustangs und eine blutrote Feuersäule loderte empor.

Der Trucker fand ihn auf der Straße, wo er zusammengebrochen in den Himmel hinaufstarrte.

»Alles in Ordnung, Mann?«, fragte der besorgt.

»Ja – Sie haben mir das Leben gerettet!«, antwortete Bernard.

Der Lastwagenfahrer verstand nichts, doch er fragte nicht weiter.

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