Sonntag, 20. Mai 2007

DIE TOTENWACHE

Es war Nacht ... eine Nacht die noch die Kälte des vergangenen Winters den durch das Dickicht streifenden Schatten zittern lies, die den Raureif auf den kargen, nur kaum von Gras, Blättern und Zweigen gepflasterten Pfad silbrig im Schein des Mondes funkeln lies. Vielleicht kündete diese Kälte, die einem Geist gleich durch die Nacht streifte, ruhelos und nicht zu bannen, von Tod . . .

Jedenfalls kam Gnobbler es in den Sinn, als er an der Stätte des Todes den Leichnam seines Vaters barg und die Tränen wie weiße Perlen auf seinen olivgrünen Wangen fast gefroren. Sie hatten einen Streit gehabt ... und so war der Vater davon gestapft, mit funkelnden, wütenden Augen. Sie hatten sich, wie so oft um Kleinigkeiten gestritten, dessen Belanglosigkeiten erst im Nachhinein sich offenbarten und dessen Grund sich Gnobbler nicht erinnern konnte oder wollte. So etwas schien nun nicht mehr wichtig, denn all diese Gedanken, die wie ruhelose Ratten an seinem Gewissen nagten, brachten seinen Vater nicht mehr zurück.

Gnobbler stand hier am Gipfel jenes Hügels, da sein Vater ihm das Bogenschnitzen gelehrt hatte, an dem er den Geschichten und Lehren seines Vaters gelauscht hatte, an dem sie die Tiere gehäutet hatten ... an dem er gelebt hatte in einer Welt die von Glück, von einem Gefühl der Heimat begleitet gewesen war ... und hier wollte er seinen Vater die letzte Ehre erweisen.

Der Leichnam war nun schon mehrere Stunden alt und er hatte ihn aufgebahrt. Er fürchtete um die Wölfe; deren Geheul immer näher schien. Doch waren sie dennoch die geringste Sorge. Sein Leben hat hier und jetzt einen Wendepunkt erfahren und er wusste nicht, welche Richtung er gehen sollte oder wollte. Er fühlte sich seid langem einmal wieder hilflos und verloren.

Der Bär, dessen Blut er wollte, der ihm seinen Vater genommen hatte, war ein Schatten, wie er nun selbst, denn wie sollte er ihn finden? Und wenn er dies tat, diesem Gedanken der Rache folgen, hieß das denn nicht den Verrat an allem Glauben und an seinem Vater zu begehen? Die Augen seines Vaters schienen ihn plötzlich anzustarren, ihn zu warnen. Er wischte sich mit seinen Armen die Tränen aus den Augen, nur um nicht die Fassung zu verlieren, denn er wollte Schreien, Heulen mit den Wölfen... wollte sterben und wollte leben... er konnte nicht verstehen und wollte verstanden werden ... sein Leben hatte sich in einer Nacht geändert und nun, als er vor dem Leichnam seines Vaters kniete an einem Lagerfeuer und die erste Nacht seiner geplanten 7 Tage Totenwache begann, kehrten seine Gedanken sich der Vergangenheit. Alles schien sich zu wiederholen...

Die erste Erinnerung schien ihn in einen Kokon des Glücks zu verstricken, denn es waren die simplen Gefühle der Liebe, die er als Baby erfahren hatte, wenn er an der Brust seiner Mutter hing, wenn er das Grollen der Stimme seines Vater zu lieben und erkennen gelernt hatte und er noch nicht wusste, dass die Welt Zähne hatte und einen jederzeit mit diesen beißen, ja auch zerfleischen konnte. Er war in einer Familie aufgewachsen, die ihren einzigen Sohn liebte und liebt und er war stolz gewesen dieses Leben zu leben. Mit 7 Jahren hatte er seinen ersten Bären mit seinem Vater erlegt und er konnte sich noch erinnern, wie das Blut an seinen Händen ihn geekelt hatte, er ins Gebüsch lief und sich übergab, nur um dann von seinem Vater gemustert zu werden, der dann meinte: „Ein Jägerskind, Angst vor Blut, ha ... Sei stark und lern!“

Dies war der Anbeginn seiner Lektionen und die Nächte, wenn sein Vater mit ihm durch die Schatten streifte waren aufregend, wie die Legenden und Sagen, die er ihm am Lagerfeuer voller Gestik nahe brachte und der junge Ork mit staunendem Entsetzen verfolgte. Sie hatten zusammen an einem der größten Wasserfälle gestanden, hatten den Wölfen ins Gesicht geblickt.

Wölfe! Wieder dieses Heulen. Gnobbler schrak auf, als er das Glühen direkt ein paar Schritte vor ihm in der Finsternis ausmachte: ein Augenpaar. Nun, was passieren würde, würde passieren. Er schrak nicht vor dem Gedanken des Todes zurück, nein er hieß ihn willkommen! Seine innere rasende Wut auf den Tod seines Vaters machte ihn wild, er wollte diesen Wolf zerschmettern, ihn jagen. Doch zunächst war Totenwache von Bedeutung und sollte dieser Wanderer des Todes ihm zu Nahe kommen, würde er dies nicht überleben. Frieden war etwas für die Schwachen, hatte er einmal gesagt und sein Vater, selbst ein ruhiger, verschlossener Jäger, mit seiner Mähne von Haaren hatte nur genickt. Jagd bedeutete Leben nehmen. Damit hatte er kein Problem. Es war eher ein Spiel aus Kraft und Stärke, mit Geschick und Willenskraft hatte er schon so manches Opfer erlegt, es überlistet und war als Sieger aus diesem blutigen Spiel hervor getreten. Gnobbler war in seinem Stamm, der nur wenig an Einfluss in diesen Gegenden hatte, ein geachteter Kämpfer, dessen manchmal verwirrende, verschlossene Art seine Kameraden ihn fürchten ließ. Er war der einzige Sohn und somit hatte er nie Teilen gelernt. Für ihn galt, wie auch in der Wildnis jenes ungeschriebene Gesetz: Töte oder du bist Tot! Verstehen konnte man da nicht viel, es war der Instinkt, das Jagdfieber das einem durch die Nächte wandern ließ auf der Suche nach einem Kampf, einem Kräftemessen mit den Bestien dieser Wälder. Er verabscheute Schlangen, denn sie waren so falsch! Er liebte den Kampf mit Schweinen, sie durch die Nacht zu jagen, ihren Spuren manchmal Stunden lang zu folgen, bis dann endlich jener Augenblick des Todes nahe war, wo sich zum erneuten Male das Schicksal wenden konnte: Würde er die Bestie bezwingen oder deren Opfer sein?

Wieder das Heulen des Wolfes und dieses Augenpaar, dieses Glühen versuchte ihn zu fixieren, ihn zu lesen. Gnobbler griff nach seiner Axt, das kalte Metal blitzte kurz im Schein der Mondsichel.

„Komm schon!“, grunzte er.

Der Wolf, ein dunkler Schatten in einem Meer von Tausend, schien unsicher. Ein dumpfes Grollen seinerseits, und dennoch, der Wolf war nicht sicher, er wanderte nur auf die andere Seite tiefer in das Dickicht.

„Angst?“, Gnobbler schien sich zu freuen. Sein olivefarbenes Gesicht war eine schwarze Maske, nur die Augen des Ork blitzten freudig dem wilden Tier entgegen. Da war nicht ein Hauch von Angst, kein Zittern.

Für ihn war dieser bevorstehende Kampf ein Weg um seine innere Trauer, die ihn rasend und wirre machte, abzuschütteln. Als Jäger bedeutete es für ihn das Elixier des Lebens der Gefahr gegenüber zu treten. Dies hieß nicht das Gnobbler nur wild durch sein Leben hackte. Mehr als einmal hatte er seinem Vater sein Leben zu verdanken. Denn am Anfang seiner Lehre hatte ihn dieser Rausch des Blutes wild und ungehalten durch die Wälder ziehen lassen. Er hatte nur dieses Fieber gespürt, den Drang sich zu beweisen und war so mehrmals dem Tod nur entrungen, da sein Vater meist in der Nähe wanderte, selbst jagte und dann die Schreie seines Sohnes, die durch den Wald kreischten wie ein Kriegslied, hörte und ihm zu Hilfe geeilt war. Nach einem dieser Rettungskämpfe war sein Vater zu ihm getreten, da der Braunbär zu Boden lag, das Fell mit Blut besudelt, die Fliegen eine schwirrende Wolke und hatte ihn von oben bis unten gemustert.

„Waffe weg!“

Die Stimme des Vaters, ein dunkles, wütendes Grunzen, hatte Gnobbler verwirrt. Was hatte dies zu bedeuten? Er ließ seine Axt fallen. Das dumpfe Aufschlagen schien gleichzeitig wie ein Schlag in den Magen. Plötzlich fühlte er sich entwürdigt.

„Was?“ Es war die Zeit der wenigen Worte zwischen ihnen beiden, wie es schien. Sie waren fast wie Feinde zueinander. Der Vater schien seinen Sohn zu verachten, ihn zu missbilligen, doch Gnobbler glaubte sein Vater schien ihn nur zu neiden. Er hatte immerhin den Ruf, dass er vor nichts Angst hatte! Er hatte den Angriff einer Jägerbande von Menschen mit seinen Stammesgenossen zerschmettert. Er trug die Kette aus Wolfszähnen und er galt als einer der fähigsten Jäger. Sicher dies verdankte er den Lehren seines Vaters, nur gab es die Zeit der Trennung, wo der Lehrling dem Lehrer übermächtig wird. Sein Alter war an ihn heran getreten, spukte ihm vor die Füße und rief „Tölpel, Schwachkopf!“ Gnobbler fletschte die Zähne.

„Alles was ich der gelehrt habe ist Kämpfen und Jagen!“ Gnobbler schien dies nicht zu hören, er wand sich ab.

„Kämpfe stark, kämpfe reinen Herzens, jage mit Geschick, aber nicht um nur zu töten!“ Sein Vater wand sich ab und ging davon. Gnobbler war ihm gefolgt, die Axt, ein Geschenk seines Vaters, ließ er im Grase liegen. Ein Mitnehmen dieser Waffe hieß eingestehen der Fehler, die sein Vater ihm gegenüber erhob. Es hieß Schwäche zeigen.

Gnobbler erinnerte sich nun an jenen Augenblick, so klar, als wäre es an diesem Tage gewesen, da er eben jenen Vater verloren hatte. Sie hatten sich nie richtig wieder akzeptiert, denn sein Vater war anders. Er war nur Jäger, nicht mit dem Herzen eines Kriegers, wie Gnobbler. Für seinen Vater war es der Weg des Jagens, für Gnobbler sowohl der Pfad des Jagens, als auch des Kämpfens. Er hatte seinen Vater damals nicht gleich verstanden, doch nach einigen erfolglosen Jagten, war ihm klar geworden, was sein Alter wollte. Jagen hieß ein Spiel spielen, das nur zum Erfolg führte, wenn man seinen Gegner kannte und nicht sinnlos den nächst besten angriff. Also war er in einer Winternacht davon gezogen und hatte einen Bären ausfindig gemacht. Über sieben Tage hatte er ihn nur beobachtet. Seine Pfade waren ihm dann schnell bekannt. Er wusste den Bären einzuschätzen. Dann hatte er ihn auf einer Lichtung gestellt. Und es war anders, ganz anders! Diesmal glaubte er den Bären fast lenken zu können. Es war dieses Gefühl von Kraft. Er hatte den Bären umlaufen, als dieser versuchte ihn weg von dieser Lichtung zu locken. Sie waren Gefährten geworden. Zwei Kämpfer, die sich gegenseitig herausforderten, zu zeigen, wessen Künste des Jagens den Anderen ins Verderben stoßen konnten. Er hatte diesen Bären auf der Lichtung gestellt. Der Kampf war lang gewesen.

Gnobbler lächelte im Schein des Mondes, da er in seinen Gedanken dieses Gefühl der Kraft spürte und er sich an das letzte Brüllen des Bärs erinnerte, als dieser dem finalen Axthieb erlag. Der Wolf schien hier die gleiche Taktik zu verfolgen. Er hatte nun schon in einem Radius von mehr als 3 Metern den Ork umlaufen.
Gnobbler fasste einen Entschluss. Er würde diesen Wolf stellen und ihn Jagen. Und er würde dann durch die Wälder streifen und seinen Stamm verlassen. Hier gehörte er nicht mehr hin. Er konnte mit den anderen nicht mehr jagen. Sie alle erinnerten ihn an die Vergangenheit und diese barg nur noch Trauer. Seine Mutter hatte sich von ihm abgewandt, als ob er seinen Vater selbst getötet hatte. Sie schien zu glauben, dass er hätte seinen Vater beschützen müssen. Nur dies war nicht der Weg eines Jägers. Jeder lebte in diesen grünen Schluchten und wenn das Schicksal den Tod offenbarte, musste man es akzeptieren, so war das schon immer.

Gnobbler trat an den Leichnam seines Vaters heran. „Ruhe... Vater“ Er nahm einen Holzscheit und steckte den Leichnam in Brand. Die Tränen kamen wieder. Es schien diesmal jedoch ein Gefühl der Reinigung damit einherzugehen. Die Augen des Wolfes leuchteten nun von rechts aus dem Dunklen. Der Wolf schien zu verstehen, dass dieses Leben, das dort in Flammen aufging, nun ein Mitglied im Multiversum der Natur zu werden schien, aus dem er selbst entstammte, wie alles Leben.

Gnobbler nahm die Axt und wand sich dem Wolf zu. Die Totenwache war beendet. Er würde dem Wolf ein wenig Zeit geben, ein wenig Vorsprung. Denn dies hier war ihm heilig. Hier hatte er Frieden mit seinem Vater gefunden und hier schied sich sein bisheriges Lieben von dem neuen eines Wanderers und Jägers, auf der Suche nach einem neuen Revier, nach neuen Freunden.

Der Dorfällteste hatte von einer Insel gesprochen: Siebenwind. Vielleicht konnte er dort eine Bleibe finden. Er würde die Wanderung beginnen.



Mehr als 45 Monde später:

Er war dem Wolf noch immer hinterher: Mittlerweile schienen sie fast wie Freunde. Sie jagten durch die Nacht. Gnobbler um ihn niederzustrecken, wie er anfangs es geplant hatte. Dennoch wurde ihm klar, dass dieser Wolf nicht sterben sollte. Vielleicht war es einer der Tausendgestallten der Waldgötter. Vielleicht sein Vater selbst. Er folgte ihm und am 46 Tag dieser ungewöhnlichen Jagd kamen sie an einen Strand. Der Wolf stand dort, den Schwanz wedelnd und blickte hinaus aufs Meer.

Wenige Monde später erreichte Gnobbler mit seinem Floß, das er innerhalb einer Nacht aus den geschlagenen Bäumen gefertigt hatte, das Ufer jener Insel. Der Wolf war noch in der gleichen Nacht verschwunden und nun schien es sicher, dass es der Avatar eines Gottes gewesen war. Vielleicht der Gott der Jäger .... Vielleicht nur ein Schatten. Gnobbler ging von Bord und das zittrige Gefühl von Erwartung und Freude erfüllte ihn ... Hier würde er ein neues Leben finden.

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