Sonntag, 20. Mai 2007

DAS VERLORENE DRACHENLIED


Der Wind zog an seinen Kleidern, riss und zerrte, bis er beinahe das Gleichgewicht verlor, Gefahr lief sein Leben in den tiefen Schluchten zu verlieren, die unter ihm im Chaos aus Weiß und Grau leuchteten. Das Gesicht eine verhärtete Miene der Anstrengung, schaffte er es, sich gegen den Wind zu stemmen und die letzten Meter zum Gipfel empor zu steigen. Die Haare wehten ihm ins Gesicht, wurden von Schnee gezuckert, während die Kälte sich an seiner bloßen Haut labte.

Er hatte es geschafft, der Berg war bezwungen.

Das Eistal lag ihm zu Füßen und er wusste, er war bereit. So lange hatte er auf diesen Augenblick gewartet, hatte geplant und gehofft. In dieser Eiswüste würde er den Drachen finden, der ihm zum Jäger machte, der ihm Ruhm und Ehre bescherte und die Herzen der Frauen aufschloss. Alles war möglich, er musste nur durchhalten.

Der Abstieg war beschwerlicher, als er geglaubt hatte. Das Schwert blitzte im gleißenden Licht der Sonne, die hier oben gnadenlos auf ihn herab brannte und dennoch nicht stark genug war, das Eis zu schmelzen, dieses Gebirge in einen See mit spitzen Inseln zu verwandeln. Er hetzte, wo es denn ging, sprang manchmal halsbrecherisch nahe am Abgrund. Das Herz in seiner Brust schlug voller Eifer und das Leben pulsierte in ihm, wie nie zuvor.

Jarin war bereit Großes zu vollbringen. Er erinnerte sich noch genau daran, wie dieses Abenteuer begonnen hatte, wie er den Eid geschworen hatte, der ihm zum Jäger machte und er die Segnung des Königs erhalten hatte für sein Land den letzten Drachen zu erlegen. Anfangs verstand er nicht, warum es so wichtig war einen Drachen in den Eisregionen des Reiches zu jagen, wo das Land nur von Einsamkeit und Kälte regiert wurde. Doch nach und nach entbrannte die Abenteuerlust und er hatte nicht vor seinen Vater zu enttäuschen. In den Augen seines Alten hatte er große Freude lesen können, als er zum Königsjäger ernannt wurde.

Es dauerte genau sieben weitere Tage bis er die Höhle erreichte. In den Stunden der Wanderung waren ihm Zweifel gekommen. Schnee und Eis waren das Einzige, was es hier gab. Zumindest, soweit er sehen konnte. Die eisige Einöde verschlang ihn, begann ihn mit ihren kalten Fängen zu zerdrücken. Am Abend bevor er die Höhle erreichte, hatte er zum ersten Mal etwas Anderes außer dem Heulen des Windes vernommen. Es war ein seltsames Singen gewesen. Dunkle Töne, jedoch so schön, dass er in seinem Lager, vermummt in Decken und Fällen, die nur spärlich ihm Wärme spendeten, mit geschlossenen Augen gelegen und gelauscht hatte. Erinnerungen suchten ihn heim, als er noch ein kleiner Junge gewesen war und seine Mutter die Flöte spielte. Jeden Abend und immer wieder eine neue Melodie.

Doch all das war nun verschwunden, wie auch seine Mutter längst nicht mehr an seiner Seite war. Vor ihm ragte das Schwarze Loch der Höhle, eine gähnende Leere in der er versank. Seine Schritte hallten laut an den Wänden wieder, egal wie sehr er sich auch bemühte zu schleichen. Seine Augen durchschauten nur allmählich die Dunkelheit, denn der Schnee der letzten Tage hatte ihn an Helligkeit, geprägt vom herabfallenden Weiß der dahin ziehenden Wolken, gewöhnt.

Laut Legenden und Erzählungen musste der Drache tief im Innersten dieser Höhlen sein einsames Leben führen. Jarin wusste nicht viel über Drachen, denn es gab sie nicht mehr, bis auf diesen letzten. Sein Vater hatte von Jagden berichtet. Das Interesse war in ihm erst entbrannt, als die Liebe für die Königstochter entflammt war. Es gab dutzende, ja hunderte, wenn nicht tausende anderer Junggesellen die sich in sie verliebten, doch Jarin glaubte, der Richtige zu sein. Deswegen hatte er sich auf das Training eingelassen, war den Lehren der Kriegsveteranen gefolgt, zu denen sein Vater zählte. Geschichten mochte noch so lebendig erzählt werden, dachte Jarin, aber es zu erleben ist wieder eine ganz andere Geschichte. Als er durch die schwarz-graue Höhle stapfte, dachte er an das Lächeln von Ayera, wie sie ihn beobachtet hatte, wenn er im Hof des Schlosses mit Chafar trainierte.
Er hatte sich tiefer und tiefer in die Höhle gewagt, war seinen Gedanken an Liebe und den Augen der Prinzessin verfallen, als wieder das seltsame Singen ihm entgegen scholl. Dieses Mal jedoch viel eindringlicher, lauter und vor allem näher!

Der Prinz in Spe hielt inne. Es war unbestreitbar: Diese Klänge, diese Melodie, die ihm entgegen segelte, von den kahlen Wänden mit Echos verstärkt wurde, musste vom Drachen kommen, den er niederstrecken wollte.

Ganz gegen jede Vorsichtsmaßnahme rief er: „Hallo! Hört Ihr mich?“ Seine Stimme war von Unsicherheit etwas geschwächt und er fühlte sich verlassen in dem Augenblick, da der Gesang verklang.



***


Im Schnee formte sich etwas Seltsames. Während die Flocken herab schwebten und im weißen Meer versanken, begannen sich Schneemassen aufzutürmen. Es war, als ob etwas unter der Schneedecke sich aufbäumte und die weißen Massen zerstäubten in einer Explosion, als das Ding sich erhob. Das Blau funkelte im Mondesschein und das Brüllen des Drachen erzürnte die Berge. Eine Lawine rutschte ins Tal, riss Bäume mit sich, um dann am Fuße des Gebirges in sich zusammen zu fallen.

Dann herrschte wieder Stille, einmal abgesehen vom unnachgebiegen Zetern des Windes.



***


Der Donner hallte durch die Höhle, wie das Grauen durch seine Glieder stürmte. Hinter ihm krachten Steine aufeinander, Dreck wirbelte auf und Staub umtanzte ihn, als der Eingang der Höhle zusammen fiel. Ein Beben warf ihn nieder. Sein Schwert krampfte er am Heft, und mit wachsendem Entsetzen verfolgten seine Augen die sich ausbreitenden Risse im Boden.

Dann Stille.

Die Staubwolke verlor schnell an Substanz. Doch das Kratzen in seinem Hals, welches ihn husten und nach Luft schnappen ließ, quälte ihn noch ein paar unendliche Minuten lang. Sein rascher Atem und das Pochen des Herzens, dröhnten in seinen Ohren. Augenblicke später erhob er sich, klopfte den Dreck von seiner Lederrüstung. Schwere Rüstung taugte nichts im Eistal. Jedoch mochte dies nicht heißen, dass seine Lederrüstung weniger Schutz bot. Nephir, der Hofmagier, hatte seine Rüstung mit Schutzrunen und Symbolen verzaubert; Rüstung für einen Krieger, der großes vollbringen wird, wie er sagte.

Das Schwert schob er wieder in die Scheide. Der Boden war zerfurcht und die Risse stellten ein wirres, filigranes Muster des vorangegangen Chaos dar. Nun ja, dachte er sich, mit jeder Herausforderung wirst du stärker und deine Legende größer. Er lächelte voll Freude.

Dann ertönten diese so ihm nun fast vertrauten und geliebten Klänge erneut.

Vorsichtig, die Augen auf den Boden geheftet, folgte er dem mystischen Lauten. Das Beben schien nur oberflächlich die Erde aufgerissen zu haben. Denn er konnte keine klaffenden Schlünde im Gestein und Geröll zu seinen Füßen finden. So lief er schneller, voll Verzücken den fremden Melodien nach. Die Gänge wanden sich tiefer und tiefer ins Gestein. Mit jedem Schritt, so wurde ihm klar, kam er seinem Schicksal näher. In den Nächten dieser Monate langen Reise, hatte er oft von diesem Tag geträumt. Niemals hatte er dieses Lied auch nur erahnt und plötzlich war er sich nicht sicher, ob er es schaffte das Schwert in den Leib des Ungetüms zu bohren, wenn solch eine Melodie, solch ein Zauber, von ihm ausging.

Dem Pfad aus Geröll und Schutt folgten Steintreppen. Der Abstieg war beschwerlich, da die Stufen fast halb so groß waren, wie Jarin selbst. Das Springen machte ihn müde, doch die Melodie wurde immer zierlicher und dennoch mächtiger. Es war wie ein Fluss aus Noten, in dem er schwamm. Die letzte Stufe ließ ihn in seichtes Wasser springen. War es weiter oben noch kalt, so empfing ihn hier frühlingswarme Luft.


***


Draußen vor der Höhle hauste das eisige Grauen. Das Biest schnaubte, die Nüstern hoch im Mond erhellten Firmament. Kein Brüllen, sondern ein hohes Zischen. Die Töne brachen die Eiszapfen von den Bäumen. Ein silbernes Klirren erfüllte die Nacht für Augenblicke, dann herrschte nur doch das kehlige Schnaufen des Monsters, vermischt mit dem Ächzen des Windes.

Blau in grau, weiß in schwarz, das Ding verschmolz mit seiner Umgebung. Dennoch konnte es die anderen Tiere des Tals nicht täuschen. Der Tod wälzte nun durch das Tal. Der Drache war erwacht. Alles Leben versuchte zu fliehen. Mit jedem Schnaufen strich der Eisatem durch die Nacht, wie ein ruheloser Geist.



***



Jarin watete durch das nun kniehohe Wasser. Der Eifer hatte ihn gepackt. Das Wasser spritzte, als er mit aller Kraft schneller voran zu kommen versuchte. Die Kühle und Feuchte war eine willkommene Erholung und verdrängte die Erinnerungen an Schnee, Eis, Kälte und auch Hunger. Voll Freude sprang er durch das klare Quellwasser. Das mystische Lied war nun allgegenwärtig, verschlang das Pochen seines Herzens.

Schließlich erreichte er das Zentrum der Höhle. Der Wasserfall plätscherte unaufhaltsam und dennoch war er nicht laut genug die Melodie zu übertönen. Jarin wurde es kaum bewusst, dass ein seltsames Leuchten ihm entgegen schien. Die Wärme hier unten zauberte Schweißtropfen auf sein Gesicht, die sich mit den Wasserspritzern vermischten.

Schließlich sah er den Drachen. Es war ein roter, es war ein kleiner und nichts hatte ihn gewarnt davor, mit welch einer Schönheit er erstrahlte.

Jarin kniete vor dem roten Drachen, der kleiner war als er. Das unbekannte Wesen beäugte ihn mit sanften Augen, während aus seiner Kehle die Melodie ungebrochen zu den Wänden der Halle flog und wider scholl.

Zuerst dachte er, es handele sich um ein Drachenjunges. Aber in seinen Augen spiegelte sich Erfahrung wieder. Auch die Schuppen waren, wenn auch rot und strahlend, so doch abgenutzt, abgewetzt und ließen das Alter nur erahnen. Das kleine Ding hockte auf den Läufen, den Kopf hoch gereckt und zauberte weiterhin Jarins Zauberlied.

„Ihr?“, versuchte er. „Ich bin… Jarin… ich … will…“

Wie dumm seine Worte doch waren! Was wollte er? Dem kleinen Ding die Kehle zerschlitzen, die solch schöne Noten hervor brachte?

Der rote Drache verstummte. Die Augen betrachteten den jungen Krieger voll Neugier.



***


Das Eistaal schlummerte in den Schatten der Nacht, als das Biest durch den Schnee sich wand. Die Augen, grelle Saphire, glitzerten voll Kraft, suchten nach Beute, sondierten die Gegend. Doch das Tal war leer gepflügt vom Entsetzen, welches das Ding versprühte. Der Schnee wimmerte unter der Last des Monsters.

Die Höhle markierte den Aufstieg ins Graugebirge und die nördliche Grenze des Tals. Schnell begann das Ding mit der Gegend zu verschwimmen, sich mit der einsamen Textur des Winters zu kleiden. Das Schnaufen wurde zu einem dunklen Raunen und der Drache wand sich schneller und schneller seinem Ziel entgegen. Bäume knickten in ihren Wurzeln, wurden weg rasiert ohne Gnade. Das Biest war auf Jagd und die Nacht noch jung.

Schließlich fand es, was es suchte. Grau in Grau, ein Schatten im glimmenden Weiß des Schnees, welches vom Mond erhellt wurde, gähnte der Eingang zu einer weiteren Höhle. Der Drachen röhrte voll Wut und Lust zur Mondkugel hinauf, nur um Augenblicke später sich in den Schlund zu bohren. Seine Schuppen rissen Stein und Dreck von den Wänden der Höhle. Der Atem des Ungetüms hallte wie Donner gegen die Wände im Inneren des Berges.


***


Das Wasser plätscherte ununterbrochen, bahnte sich seinen Weg durch die Höhle, wo Jarin dem kleinen Wesen gegenüber hockte. Die Augen der Beiden suchten einander ab. Keiner war sicher, was geschehen würde. Jarin wusste nicht, wie er dem roten Drachen gegenübertreten sollte, was von ihm erwartet wurde. Nichts hatte ihn darauf vorbereiten können. All die viele Nächte, da er die zertrampelten Pfade durch das riesige Land gestiefelt war und in seinem Kopf den finalen Kampf erträumt hatte. Die Geschichten über Drachenjagden, all das war wertlos für ihn. Auch sein Schwert, dachte er. Etwas unbeholfen ließ er es in die Scheide sinken.

Der rote Drache ging ihm gerade mal bis zum Gürtel. Die Nüstern schnaubten, witterten und versuchten den fremden Geruch des Menschen einzuordnen.

Wie lange war er schon hier in dieser Höhle?

Jarin machte vorsichtig ein paar Schritte und begann langsam das kleine Wesen zu umrunden. Er konnte nicht glauben, dass dies der Drache war, dem er den Gnadenstoß verpassen sollte. All die Geschichten, Sagen und Legenden waren erstunken und erlogen! Doch warum schickte der König ihn in dieses Eisöde?

Der kleine Drache machte ein paar unbeholfene Gehversuche, schnaubte und begann zu springen wie ein Hase. Jarin folgte ihm unaufgefordert tiefer in die Halle hinein. Große steinerne Säulen trugen das Gewölbe. Die Wärme ging eindeutig von dem kleinen Wesen aus, denn an den Felswänden tropfe Wasser und weiter oben konnte er sogar Eiskristalle ausmachen.

Egal was kommen mochte, Jarin beschloss dem Kleinen einfach zu folgen. Ihn zu verstehen, war das mindeste, was von ihm erwartet wurde! So stapfte das ungleiche Paar tiefer und tiefer in das Gewölbe.



***


Das Monster donnerte wie ein wild gewordener Rammbock durch die engen Gänge. Die Schuppen schmirgelten Stein und der Lärm toste durch den Berg. Die Nüstern des Viechs plusterten sich auf und zogen sich zusammen. Die saphirfarbenen Augen blitzten wild in der Dunkelheit.

Tiefer und tiefer ging es, hinab ins Innere des Bergmassives. Die Krallen wetzten über Stein, Geröll und Dreck. Fledermäuse stoben von den Wänden, aus dem Schlaf gerissen und wurden augenblicklich durch die Wucht des Ungetüms gegen die Wände gedrückt. Das Schreien war ein mörderisches Gezeter; die Musik des Todes in den höchsten Tönen.

Plötzlich hielt der Blaue inne. Der massive Kopf riss einen Brocken aus der Wand, als er hin und her schlug, wie der Schwanz hinten Dreck nach links und rechts peitschte.
Er roch es… Augenblicklich erfasste den Blauen eine sagenhafte Wut und schneller als zu vor bahnte er sich mit roher Gewalt den Weg hinab.


***


Die Beiden, Drache und junger Krieger, verstanden sich von Anfang an. Vielleicht lag es an der Melodie, die Jarin verzaubert hatte, bestimmt aber, weil der unerfahrene Krieger verstand, das Frieden und Liebe in dem kleinen Ding ruhten.

Der Kleine Rote führte ihn in eine Art Schatzkammer, was Jarin erinnerte, das Sagen doch nicht so trügerisch waren, wie er mit dem Anblick des Kleinen gedacht hatte. Diamanten, Saphire, Rubine, Opale und andere glitzernde Steine funkelten im Licht, das von den Schuppen des Drachen pulsierte. Der Kleine schnappte nach einem der Steine, einem roten Rubin und spuckte ihn zu Jarin, der im ersten Augenblick inne hielt und den Schatz voll verzücken bestaunte.

Als Jarin den Rubin aus dem Dreck fischte und ihn betrachte, hörte er das donnernde Grollen. Der Rote begann aufgeregt hin und her zu springen. Seine kleinen Schwingen wirbelten voll Panik die wenige Luft durcheinander.

„Schhhh!“, machte Jarin zu seinem kleinen Gefährten.

Der rote Drache verharrte. Die großen silbernen Augen an den jungen Krieger geheftet, schien auch er zu lauschen.

Es klang, als ob eine riesige Herde Bullen durch die Dunkelheit stürmte, oder Legionen von Dämonen. Fasst glaubte Jarin sie sehen zu können. Das Geschwader der Hölle, gesegnet von Blutopfern und Unheil der dunkelsten Materie, bereit Verderben und Angst in die Glieder jener zu bringen, die ihnen gegenüber standen. Das Unheil bohrte sich durch das Gestein, fraß sich tiefer und tiefer, näher und näher… Viel zu nahe…

Jarin zog sein Schwert, umkrampfte das vergoldete Heft mit beiden Händen. Seine Augen suchten in den Schatten, die vom pulsierenden Licht des Drachen, eine magische Aura, rot und lieblich, die Steilwände und Steindecke entlang gescheucht wurden.

Das Brüllen erschütterte Mark und Bein. Jeglichen Zweifel verstreut, baute sich Jarin vor dem kleinen Wesen auf. Es war so seltsam, dachte er. Vorhin hatte er noch Zweifel gehegt, ob sein Schwert dem kleinen Wesen die lieblichen Klänge für immer entreißen sollte. Vielleicht jedoch, war der Drache, den er suchte schon unterwegs und das rote Geschöpf nicht das, für was er es hielt. Dem jungen Krieger schossen in diesen wilden Augenblicken, da das Unheil durch die Ferne preschte, jeglicher Vorstellung ausgesetzt, so viele Gedanken durch den Kopf. Stimmen rangen um seine Aufmerksamkeit, doch nichts konnte ihn davor warnen, was ihn erwartete.

„Sing!“, schrie er plötzlich, da das Donnern und Grollen ohrenbetäubend von den Wänden schmetterte. Seine Stimme wirkte so kleinlaut, so verloren. Die Muskeln in seinen Armen spannten sich, bis sie schmerzten. Was immer kommen mochte, er wollte es aufhalten. Doch die Glieder schienen dem Willen nicht zu gehorchen. Angst und Schrecken trieben ihr Unwesen mit dem jungen Krieger.

„Sing!“, brüllte er gegen die trommelte Gewalt, die sich durch das Innere des Berges bohrte, bereit alles zu zerstampfen, was ihr in den Weg kam.

Jarin begann seiner Verzweiflung zu verfallen und wie wild zu rufen, zu flehen.

„Sing! Mein Kleiner! Das Lied, jenes schöne Lied!“, versuchte er dem verschreckten Drachen zu seinem Zauber zu bewegen.

Das tiefe Grunzen rollte wie dunkler Donner durch das Gewölbe, die Bestie nur noch wenige Meter entfernt.

„Sing dein Lied!“ Jarin hatte sich umgewandt; kniete vor dem Drachen.

Die Kleine machte nur große Augen und hatte die Flügel geknickt. Das Pulsieren seiner Aura wurde langsamer, verschreckter.

Schließlich musste Jarin dem Grauen gegenüberstehen. Und es war nur Recht so, dachte er, als die ersten blauen Schuppen mit den großen Krallen sich aus einem der Gänge zwangen. Das Gewölbe erzitterte. Eis brach von der Decke, zerspritzte zu seinen Füßen und dann sah er den blauen Drachen, das Monster, dessen er sich fürchtete und für das sein Schwert bestimmt war.


***


Der Augenblick der Konfrontation war zeitlos. In diesen Momenten, als sein Hals wie zugeschnürt ihm die wenige Luft in der Höhle verwehrte, begann Jarin zu verstehen, was es hieß ein Krieger zu sein. All die Fechtübungen wirkten so bedeutungslos, die vielen Reden und Übungen, die Schmerzen und Peinigungen, die er erduldet hatte, verschwammen zu einer blassen Erinnerung. In diesen Atemzügen, glaubte er sein Schicksal gefunden zu haben und es verhieß nichts Gutes für ihn!

Das Monster war so formlos, wie es schien. Die großen Schuppen, die die Massen des Körpers zu einer eisigen Rüstung verzierten, waren scharf und voll Dreck. Die Schwingen nach hinten gebogen, riesige Dinger, die gegen die Felswände rieben. Das Maul, die Zähne ein Stahlgebiss wie aus Titan, glitzerte und funkelte. Der Eisdrache war der Inbegriff von Monstrosität und ungebändigter Kraft. Die Nüstern wölbten sich, als der Eisstaub hinaus rieselte. Mit jedem Atemzug wurde es kälter.

Das Brüllen erschütterte den Boden, mit all seiner Gewalt und dennoch hielt Jarin stand. Er blickte hinauf zu dem Ding. Der keilförmige Kopf, mit den blitzenden Halbmonden, die saphirgrün leuchteten, rutschte nach links und rechts, damit die Augen ihn jeweils einmal einfangen konnten.

Jarin wagte einen Blick über die Schulter. Der keine Rote zitterte voller Entsetzen. Die Augen rollten ohnmächtig nach links und rechts, die Flügel regungslos.

Jarin zog das Schwert zurück und lief. Seine Waffe zischte durch die Luft, während er mit aller Gewalt auf den blauen Riesen zustürmte. Die Schuppen empfingen ihn mit Eiseskälte. Die Stahlklinge klirrte über die Eisrüstung des Ungetüms. Die Vibration schoss die Arme hinauf und Jarin taumelte zu Boden.

Das Monster schob sich langsam vorwärts. Jarin kroch durch den Dreck, versuchte sich aufzustemmen, doch die Kraft verließ ihn wieder.

Schließlich lag er zu Füßen des kleinen roten Drachens. Ein Häufchen Elend, kraftlos und dennoch unverwundet.

Der Kopf des Monsters kam hernieder, krachte auf den Boden, der sofort mit der Erschütterung zu splittern begann. Es krachte, als ginge eine riesige Lawine nieder und der Boden spaltete sich. Unter Jarin klafften rote Schlünde und feuerwarme Dämpfe zogen hinauf.

Der kleine Drache sprang vor, in dem Augenblick, da die Krallen des Blauen in den Dreck stauchten, genau vor dem jungen Krieger. Wie ein roter Ball sprang er zwischen den Beinen und dem Massen aus Eispanzer und Tatzen hindurch. Der Kopf des Monsters schnellte hoch, gegen die Decke, was Dreck, Steine und Eis hinab regnen ließ. Jarin rappelte sich auf und sah gerade noch, wie der rote Drachen einen riesigen Feuerskegel gegen die Schuppenmassen des Ungetüms feuerte.

Die Edelsteine klirrten aneinander, als sie zwischen den Rissen hindurch rieselten, sich den Weg verstopften und dann verstand Jarin, mit einem Mal. Sie waren der Schlüssel, sie waren das Instrument, von ihnen hatte der kleine die Melodien gelernt. Denn, als die Steine aneinander rieben erklangen die Jarin nun so vertrauten mystischen Klänge.

Doch der Kampf tobte. Aus dem Augenwinkel erkannte er die Gefahr und schlug das Schwert nach links, wo der Kopf des Monsters gerade nach dem kleinen schwenkte. Das Schwert zog einen tiefblauen Ritz entlang der Schnauze. Nur dort, so schien es, war das Monstrum verwundbar!

Doch die Steine durften nicht verloren gehen. Wahrscheinlich hatte der kleine Rote sie all die Jahrhunderte bewacht, den Schutzzauber, den sie dem geübten Musiker sicherten. Und so kam es, dass das verlorene Drachenlied wieder gefunden wurde. Jarin erinnerte sich in diesem Augenblick nur ganz wehmütig an die Erzählungen von Nephir, dem Magier, der seine Lederrüstung mit einem Schutzzauber verfeinert hatte.

Der kleine Rote sprang nach rechts. Die Schnauze des blauen Riesen rammte gegen Fels, was erneut den Boden erschütterte. Jarin hechtete über eine kleine Schlucht, wo die Steinmassen hinab ins Lavameer fielen. Er begann wahllos die Edelsteine zu nehmen und in die Taschen zu stopfen.

Ihre Blicke trafen sich eine Sekunde, als Jarin beobachtete, wie der Kleine erneut eine Feuersäule hervor spukte, die dem Monstrum wildes Geschrei entlockte. Doch auch der rote Drache war nicht außer Gefahr, als einer der Riesenflügel den Kleinen erwischte, als dieser hinaufflatterte. Der Kleine würde gegen die Felswand gedonnert, wie zuvor die Fledermäuse.

„SING!!“ schrie Jarin.

Die Steine in seinen Händen begannen zu glühen, als der erste Ton der verzauberten Melodie des verlorenen Drachenliedes ertönte. Das kehlige Röhren des Monstrums zerschnitt den Gesang des Roten, der zu Boden fiel, um sogleich mit wildem Flügelschlag für Sekunden in der Luft zu schweben und dann sanft, direkt unter den Massen des Monstrums, das sich erhoben hatte, auf dem sicheren Boden landete. Es sang aus Leibeskräften. Die pulsierende Aura erstrahlte so rot wie noch nie. Jarin erinnerte sich an jene Nacht, da Nephir ihn zur Seite genommen hatte. „Das verlorene Drachenlied“, hatte er gesagt, „ist der größte Schatz!“ Jarin hatte ihn fragend angesehen.

„Wir wissen, dass Drachen niemals sterben werden und nur mit diesem Lied, kann man sie für immer im Zaum halten. Zumindest die garstigen!“ Jarin lächelte bei der Erinnerung. Nephir hatte jenes selige Kichern nicht verhehlen können. „Doch gib acht, denn ich denke, es ist längst verschollen. Suche Deinen Drachen tapferer Krieger…“ Jarin hatte kaum bemerkt, das Nephir ihm versuchte das Geheimnis seiner Reise anzuvertrauen

Das Monstrum wälzte sich nach links und rechts. Schuppen rissen Felsbrocken heraus. Doch mit jeder neuen Note, begannen die Schuppen auszufallen. Es klimperte, als fielen tausende Taler herab und schließlich brach das Ungetüm zusammen.

Der rote Drache verstummte und nur noch Jarin stieß in einem ihm plötzlich vertrauten Rhythmus die Steine aneinander. Es war die Melodie, die er erträumt hatte, die ihn leitete. Es war das Lied der Liebe, des Kampfes und der Freude. Der kleine rote Drache sprang zu ihm und ließ sich neben dem erschöpften Krieger nieder. Die Melodie hallte noch lange in dieser Nacht.

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