Montag, 21. Mai 2007

EINE WELT AUS GLAS (5/10)

5




Ihr Apartment wirkte so leer, so fremd. Sie stand in dem kleinen Wohnzimmer, um sie herum ihr kleiner Koffer und die Handtasche, achtlos zu Boden geworfen. Im Fenster die Pflanzen waren vertrocknet. Der Sommer hatte die Welt fest im Griff und die Sonne strahlte in all ihrem Glanz durch das Fenster. Sie war etwas mehr als zwei Wochen weggewesen, aber es schien ein ganzes Leben vergangen zu sein. Maria ließ sich in ihren Lesesessel fallen, eines der wenigen Erbstücke, das sie noch besaß. Auf dem kleinen Beistelltischchen lag der Roman, den sie am letzten Abend gelesen hatte, bevor sie ins Chaos stürzte am nächsten Tag.


Sie nahm das Buch in die Hand, blätterte ein paar Seiten weiter, las die Kapitelüberschriften, bis mit einem Mal eine Träne auf das Blatt fiel, sich ins Papier saugte. Sie schlug das Buch hart zu, hielt es fest und starrte zum Fenster hinaus. Wie lang wusste sie nicht, aber als es an der Tür klingelte, schien sie aus einer Art Schlaf zu erwachen. Im ersten Augenblick wusste sie nicht wo sie war. Zu sehr hatte das Krankenzimmer sie gefangen gehalten, als dass sie ihre wiedergewonne Freiheit empfinden konnte.


Wieder klingelte es. Es war eine Art Glockenspiel. Sie stürzte zur Tür.

Er lächelte sie breit an. Sie versuchte es ebenfalls, aus Höflichkeit.

"Schön das du wieder da bist.", sagte John. Sein Haar war eine einzige Katastrophe. Das weiße T-Shirt war mit allen denkbaren Farben beschmiert, so dass es schon fast wie ein Designerstück wirkte. Hinter dem Ohr hing vergessen eine Zigarette.

"Kann ich reinkommen?", fragte er.

Marie schaute zwischen Flur und ihm hin und her. Sie machte einen Schritt zur Seite und ließ ihn gewehren. Sie merkte, auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, dass sie gerührt war, dass er an der Tür klopfte und sie besuchte. Er war ihr Nachbar, aber sie hatte ihn nie so wahrgenommen. Jedenfalls nicht so wie jetzt.

Es war das erste Mal, dass er in ihre Wohnung kam. Er schien voller Interesse die leeren, weißen Wände zu betrachten. Augenblicke später, als er im Wohnzimmer stand, bemerkte er: "Eigentlich recht schön, aber so leer."

Sie stand hinter ihm, zuckte mit den Achseln. "Nein, ich hab doch viele Bücher."

"Aber Bücher sprechen nicht. Und es ist leer und einsam hier. Glaub mir..."

Es war ein unangenehmer Augenblick. Er betrachtete die Bücherwände, aber sie wusste, er starrte an die leeren Wände und versuchte es zu verstehen. Doch sie selbst wusste es ja nicht, wieso nirgends ein Foto hing und alles so sauber war.

"Magst Du 'nen Kaffee oder Tee?" Sie stellte fest, sie wollte mit ihm reden. Ein Kaffee oder Tee war die beste Art ein Gespräch in Gang zu setzen.

"Ok.", sagte er nur.

Die Küche war gleich nebenan. Ein weicher Bogen beschrieb den Eingang zu Ofen und Schränken. Sie suchte schnell zwei Tassen aus dem oberen Schrank zusammen.

"Tee oder Kaffee?"

"Ich nehm' Tee." Schnell brühte sie ihn auf. "ährend der Automat dampfte stand sie im Eingang und beobachtete ihn, bis zu dem Augenblick, da er den Roman entdeckte, in dem ihre Träne gefangen war. Wie automatisch blätterte er genau zu der Seite mit dem regentropfenartigen Fleck. Er sah zu ihr herüber und für einen Augenblick schien selbst eine Träne an seiner Wimper zu hängen.

Sie wandte sich ab, goss den Tee ein und trug auf einem Tablett die Tassen zum Beistelltisch. Er hatte sich in ihrem Lesesessel niedergelassen, hielt noch immer das Buch, den Finger zwischen den Seiten, wo sie ihre Träne verloren hatte.

Sie setzte sich mit ihrer Tasse in der Hand auf das Sofa etwas weiter weg. Sie nahmen kurze Schlücke, sagten nichts und dennoch schien ein Gespräch stattzufinden.

Wieso musst du weinen?

Weil es nicht einfach ist.

Was?

Mein Leben und jeder Tag...

Doch die lezten Worte hatte sie ausgesprochen: "Jeder Tag."

"Was?", fragte er. Es war seltsam, irgendwie schien er mehr ein Freund zu sein, als sie geglaubt hatte. Eigentlich dachte sie, er habe nur seine Demos im Kopf, alles um Politik und Bush. Aber so war er nicht, das spürte sie. Er schien, wie auch sie, in einer ganz eigenen Welt zu leben und sein Bush-Hass hatte viel tiefere Wurzeln.

"Ich meinte, es ist jeder Tag, der Tränen bringt."

Er nickte, schien zu verstehen.

"Nun ja, es gibt doch aber auch Sommertage wie den heutigen." Sie lächelte sanft, nahm einen Schluck und stellte fest: "Stimmt."

"Es tut mir leid, dass du im Krankenhaus warst. Ich hätte dich gern besucht. Ging aber nicht. Außerdem weiß ich nicht... Ich meine ich bin nur dein Nachbar."

"Schon ok. War besser so, wollte sowieso Niemanden sehen."

"Und Richard? Hat er sich gemeldet?"

Sie sah ihn verdutzt an.

"Er war hier... Das ist auch der Grund warum ich hier bin."

Sie sah ihn fragend an.

"Na ja nicht nur deswegen... Wollte auch wissen wie es Dir geht und ob ich was helfen kann oder so..."

Sie schüttelte den Kopf. "Nein. Es ist nun mal so."

Er nahm einen weiteren Schluck, schien über sie nachzudenken, ihre Augen nach den Gründen der Träne in dem Roman abzusuchen.

"Ich denke es ist besser wenn ich's Dir zeige."

"Was?"

Er lächelte und es war ein fremdes Gesicht dass ihr da entgegen blickte. Er wirkte wie ein kleiner Lausbub, nicht mehr der verägerte Intellektuelle, der Politikerhasser. Sie fand ihn richtig nett.

"Kann ich eine rauchen?" Er griff nach der Zigarrette hinter dem Ohr.

"Ich rauche doch auch..."

"Achso und wo?" Er grinste. Seine Anspielung auf die übermäßige Sauberkeit war nicht zu ignorieren. "Will dir ja nicht hier alles vollstinken..." Er lachte herzlich.

Als sie aufstand um den Aschenbecher aus dem Schrank zu holen, wurde ihr klar, es war schön nicht allein zu sein. Und wie sehr sie diese Augenblicke jetzt genoss. In der kleinen Vitrine mit ihrer Affenfigurensammlung stand der Aschenbecher, den ihr Sarah mal geschenkt hatte, als diese mit Rauchen aufhörte. Jeden Abend wusch sie ihn bis er glänzte und stellte ihn zurück. Sie und ihre vielen Gewohnheiten. Doch irgendwie schien das Leben zu zerbrechen und alles was blieb waren Erinnerungen.

Sie stellte den Aschenbecher auf das Beistelltischchen. John fummelte aus der Jeans ein silbernes Zippo.

"Maria... willst auch eine?" Er grinste verschmitzt, als er den Rauch wie ein böser Drachen heraus bließ.

Er holte eine zerknitterte Packung Winston aus der Hosentasche, reichte sie ihr. Sie nahm mit einem Lächeln die Zigarette. Er gab ihr Feuer und dann saßen sie einfach da und rauchten.

Sie genoss jeden Zug.


[Fortsetzung folgt...]

Keine Kommentare: