Montag, 21. Mai 2007

EINE WELT AUS GLAS (4/10)

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"Wissen Sie, wir Seelenklemptner sind auch Menschen. Ich hab in meinem Leben schon sehr viel erlebt und ich beginne deswegen bei einem ersten Treffen immer mit einer Geschichte. Mögen Sie Geschichten, lesen Sie?"

Die Augen hinter der schwarzen Brille strahlten eine Sanftheit aus, die sie überraschte. Er wirkte eher wie ein Schriftsteller, zumindest wie sie sich einen vorstellte. Das war gut, denn innerlich rumorte es in ihr. Es waren keine Stimmen, aber ihr war schlecht und sie wusste, das etwas in ihr arbeitete, sich gegen dieses Treffen wehrte.

"Ja, ich lese."

"Was für Bücher?"

Sie lächelte, das erste Mal seit dem Überfall. Zwei Wochen lagen zwischen dem Freitag als sie Rich kennen gelernt hatte und diesem Gespräch hier. Aber es schien ein Jahrhundert zu sein, denn soviel bedrängte sie, zerrte an ihren Nerven.

"Ich hab als letztes Sputnik Sweethart gelesen."

"Ah, kenne ich. Haruki Murakami. Nette Art wie er schreibt. Es geht um Liebe. Suchen Sie Liebe?"

Maria sagte nichts.

"Nun ja, ich wollte meine Geschichte erzählen, nicht? Es ist aber keine schöne Geschichte. Das Leben schreibt meist eher Tragödien, statt Hollywood-Happy Ends. Aber egal. Das brauch ich Ihnen ja nicht sagen."

Sie versuchte zu lächeln, denn sie merkte, er wollte ihr die Geschichte wirklich erzählen. Nicht um sie zu heilen oder so. Einfach so, weil er gern erzählte.

"Ich war damals Student. Große Hoffnungen und dann als der Vietnamkrieg kam, John Lennon mein Idol, entdeckte ich was diese Welt wirklich bedeutet. All dieser Hass, der Krieg, das Geld. Ich hatte mich mit Freunden getroffen, wir planten eine Demonstration. Kennen Sie den Song von Buffalo Springfield?"

Sie schüttelte den Kopf. "Ich hör eher Klassik. Oder garnichts. Bin kein Musikfan."

"Tja dann haben Sie wenigstens nicht wie ich das Problem, dass Sie nicht wissen, wo Sie die CDs und Platten unterbringen sollen." Er lachte, aber es war nicht gespielt. Sie erinnerte sich, konnte sich nicht dagegen wehren, wie ihre Mutter von einem Arzt angelacht wurde, damals. Sie hatte genau gewusst, dass er verzweifelt war. Wie erklärte man Jemanden, dass ihr Mann sich umgebracht hatte, mit Tabletten und Alkohol? Daddy war gegangen, zurück blieben die Scherben und das Blut und die Wunden."

"Alles in Orndung, Frau Eldorso?"

Sie nickte. "Erzählen Sie doch weiter..."

Er rutschte etwas im Sessel hin und her. Von Draußen ströhmte warmes Sommersonnenlicht herein. Es war ein Raum voller Gemälde und Bücher. Die Krankenhausbibliothek. Er hatte ihr erklärt er hasste den kleinen Untersuchungsraum, war lieber hier. Anfangs hatte sie gedacht, das war nur eine Masche um ihr Vertrauen zu gewinnen. Doch mitlerweile verstand sie, dass es wirklich so war. Den Kittel hatte er ausgezogen und achtlos über die Lehne geworfen. Auf dem kleinen Beistelltisch stand für jeden eine Pepsi.

Sie nahm ihre Dose, öffnete sie und trank drei kleine Schlücke. Ihre Mutter hatte ihr immer gesagt, Ladies saufen nicht wie Kühe, sondern nehmen zaghafte Schlücke wie Rehe. Die Erinnerung schmerzte, aber sie lächelte.

Das brachte ihn dazu weiter zu erzählen. "Wir wollten genauso wie John Lennon gegen den Krieg demonstrieren. Ok, wir wussten nicht viel, nur ich dachte daran dass dort Menschen starben, während mir Professoren irgendwelchen Krimmskrams versuchten beizubringen. Es war alles so bedeutungslos. Und dort der Krieg... Ich wollte was tun. Eine Demonstration war ein Anfang."

"Ja. Mein Freund... John. Er demonstriert oft." John war eigentlich nur ihr Nachbar. Der war gegen die Adminstration Bush und bei jeder Demo dabei. Einmal hatte sie ihm neue Stifte geschenkt, weil sie so allein war und einen Grund suchte, ihn zu besuchen. Er hatte ihr alles mögliche erzählt, über all die Lügen ihres Präsidenten. Aber das interessierte sie nicht. Es war die Einsamkeit, die sie zu ihm trieb.

"Wir hatten Schilder gebastelt. Meins war nicht das Beste, aber ich fand's verdammt cool."

"Cool?", grinste sie.

"Nun, was sagt man denn heute? Es war eben ... " Er suchte nach einem anderen Wort. "Egal, es war cool, ok?"

"Gut." Es fiel ihr leichter mit ihm zu reden. Er schien so wenig ein Arzt zu sein, wie sie eine Schauspielerin war.

"Ich hatte sowas wie eine Bombe gezeichnet, die ein Peacezeichen zersplittert. Sah sicher eher aus wie die Malerei eines Kindes. Aber die Message... NO WAR!, das kam rüber. Als wir dann durch die Straßen zogen, ich mein Schild voller Stolz hochielt, kam mein Vater mit dem Wagen vorbei. Er hatte in der Nähe zu tun und als er an mir vorrüber fuhr, das Schild sah, bremmste er, schrie ich solle es wegschmeißen. Ich sei eine Schande. Er spuckte mir vor die Füße. Ich hasste ihn. Was verstand er denn davon?"

Er machte eine Pause, öffnete seine Dose, nahm einen langen Schluck und Maria lachte. Es war ein herzhaftes Lachen, es brach aus ihr heraus, wie ein Rülpser. Dann hielt sie sich die Hand vor den Mund.

"Nicht unbedingt die Reaktion die ich erwartet hätte. Lassen Sie mich teilhaben?"

"Es ist nicht ihre Geschichte. Es ist..." Sie holte unbewusst tief Luft. Der Psychologe nahm noch mal einen Schluck, ließ ihr Zeit. "Meine Mutter sagte Frauen dürfen nicht Saufen wie Kühe..."

Er grinste. "Achso..."

"Ladies sollen kleine Schlücke nehmen. So war sie eben. All solches Zeug. Meist fand ich es blöd, aber vorhin dachte ich an den Spruch und nun.."

"Sauf ich wie 'ne Kuh... oder'n Ochse!" Er lachte.

"Genau..."

Sie tranken still, immer wieder grinsend.

"Ihr Vater... hat er sie geschlagen?"; fragte Maria.

"Ja. An dem Abend, hat er mich so verprügelt, dass ich nicht mehr sitzen konnte. Am nächsten Tag nahm ich den ersten Bus. Weiß nicht mehr wo ich hinwollte, aber nicht mehr zu Hause mich schlagen lassen."

Sie dachte darüber nach. "Mein Vater hat mich nicht geschlagen. Er hat sich vor uns kaputt gemacht und wir hatten Schuld. Er hat geschrien, Zeug zerschmissen, ist ausgerastet. Aber hat uns nie angefasst. Er war eigentlich ein guter Mann, wissen Sie. Er hat alles verloren. Die Firma war pleite, er auch. Die Aktien nichts mehr wert. Sein Leben ausgehaucht in wenigen Stunden, sozusagen. Meine Mutter sagte, es würde wieder werden. Aber das war nicht so. Er kam nie darüber weg."

"Hmm. Maria... hassen Sie sich?"

Sie sagte nichts.

"Wenn das so ist... wissen Sie, jeder hasst sich hin und wieder. Das ist gesund, das gehört zum Leben. Aber es darf nicht soweit gehen, dass Sie sich umbringen wol-"

Sie sprang auf, stieß dabei irgendwie an den Tisch. Die Dose rollte über die Tischplatte, Cola schäumte heraus.

"Ich habe mich nicht umbringen wollen! Ich habe Angst! Mein Vater, ich habe ihn sterben sehen! Ich hab nichts dagegen gemacht. Der, der Spiegel... er hat sich mit dem Spiegel umgebracht, weil er sich hasste, dafür dass er alles verloren hat. Ich wusste nichts von Tabletten und der Wiskey, die Flasche..." Sie atmete hastig, ihr Herz klopfte ihr im Hals. "Hab sie erst später gesehen und selbst da nicht begriffen. Überdosis und Alkohol. Er hat sich umgebracht... wegen uns, weil er uns nicht ernähren konnte. Und sie sagen ich will mich umbringen?"

Sie kreischte nun, ihre Stimme war wie ein Klavier, dass zerhackt wurde. "Ich will sterben, ich bin allein! Niemand ist für mich da. Aber ich bringe es nicht fertig." Sie weinte. "Es war ein verdammter Unfall..."

Sie rannte aus der Bibliothek. Auf dem Gang umfing sie ein Hauch von Desinfektionspray und Schweiß. Sie rannte einfach den Flur entlang. Bis sie gegen die Tür des Fahrstuhls sich schmiss, als dieser nicht aufging. Sie lehnte an der Wand mit den Knöpfen um den Fahrstuhl zu rufen. Langsam sank sie zu Boden, saß dort und weinte.

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